Sur Spinoza

Cours Vincennes - St Denis
Cours du 24/03/1981
Dies ist das letzte Mal, dass wir über Spinoza sprechen. Ich werde mit einer Frage beginnen, die man mir das letzte Mal gestellt hat: „Wie kann Spinoza in mindestens einem Text sagen, dass jede Affektion, dass egal welche Affektion, eine Affektion des Wesens ist?“ Tatsächlich spürt ihr wohl, dass „Affektion des Wesens“ ein etwas seltsamer Ausdruck ist. Meiner Kenntnis zufolge gibt es einen einzigen Fall, in dem man diesen Ausdruck findet. In welchem Fall? In dem eines sehr präzisen Textes, einer Zusammenfassung am Ende des Dritten Buches der Ethik. Dort gibt uns Spinoza eine Reihe von Definitionen außerhalb des linearen Verlaufs des Buches. Er definiert, oder er gibt nochmals Definitionen, solche, die bis dahin entweder nicht gegeben wurden oder solche, die verstreut geblieben waren. Er definiert die Affekte. Ihr erinnert euch, dass die Affekte eine sehr besondere Art der Affektion waren: sie sind, was diesen entspringt. Man übersetzt sie häufig mit dem Wort „Gefühle“. Allerdings gibt es auch das Wort „Affekt“, das dem lateinischen affectus völlig entspricht. Es bezeichnet – um mit Genauigkeit zu sprechen – dasjenige, was den Affektionen entspringt, wobei die Affektionen Wahrnehmungen oder Repräsentationen sind.
In der Definition 1 am Ende des Dritten Buches liest man nun dieses: „Das Begehren ist die Wesenheit des Menschen selbst, insofern sie vorgestellt wird, als von irgend einer gegebenen Affection derselben bestimmt, etwas zu thun.“ Diese Definition zieht eine ziemlich lange Erklärung nach sich, und wenn man weiter liest, trifft man auf einen Satz, der ein paar Probleme bereitet, denn unter Affektion des Wesens „verstehen wir jede Verfassung dieses Wesens, mag sie angeboren seyn (oder erworben)“. Im lateinischen Text fehlt etwas, deshalb steht hier diese Klammer. In der flämischen Übersetzung der Kurzen Abhandlung steht der vollständige Satz, den man erwartet. Warum aber erwartet man diese Ergänzung „oder erworben“? Weil im 17. Jahrhundert die Unterscheidung zwischen zwei Arten von Ideen oder Affektionen sehr geläufig ist: zwischen den Ideen, die angeboren genannt werden, und jenen, die erworben oder adventis genannt werden. Bei Descartes findet man diese Unterscheidung zwischen angeborenen und erworbenen Ideen. Angeboren-erworben ist zwar ein recht geläufiges Paar im 17. Jahrhundert, doch in einer Gegenbewegung hierzu ist es tatsächlich so, dass Spinoza diese Begrifflichkeit zuvor nicht verwendet, und dass die Aufnahme der Worte „angeboren“ und „erworben“ dann in dieser kurzen Wiederholung auftaucht. Was ist das nur für ein Text, in dem Spinoza Begriffe ins Spiel bringt, die er bis dahin nicht benutzt hat und in dem er andererseits die Formulierung „Affektion des Wesens“ vorbringt? Wenn ihr an alles denkt, was wir bis jetzt gesagt haben, dann gibt es ein Problem, denn es stellt sich die Frage, wie Spinoza sagen kann, dass alle Affektionen und alle Affekte Affektionen des Wesens sind. D.h., dass selbst ein Leiden eine Affektion des Wesens ist. Am Ende unserer bisherigen Analysen, neigten wir zu dem Schluss, dass was wahrhaft zum Wesen gehört, die adäquaten Ideen und die aktiven Affekte sind, nämlich die Ideen der zweiten Gattung und die Ideen der dritten Gattung. Diese gehören wirklich zum Wesen. Spinoza scheint nun das völlig Gegenteilige zu sagen: Nicht nur sind alle Leiden oder Passionen Affektionen des Wesens, sondern unter den Leidenschaften auch die Traurigkeiten, die schlechtesten Leiden – jeder Affekt affiziert das Wesen!

Ich möchte nun versuchen, dieses Problem zu lösen. Es geht nicht darum, einen Text von Spinoza zu diskutieren, man muss ihn wortwörtlich auffassen. Er lehrt uns, dass jede Affektion, egal welche, eine Affektion des Wesens ist. Die Leiden gehören also nicht weniger als die Aktionen zum Wesen, die inadäquaten Ideen nicht weniger als die adäquaten. Und dennoch muss es wohl eine Differenz geben. Die Passionen und inadäquaten Ideen können nicht in derselben Weise zum Wesen gehören wie diesem die Aktionen und adäquaten Ideen zugehören. Wie kommt man hier wieder raus? Affektion des Wesens. Mich interessiert die Formulierung des Genetivs im Lateinischen. Auf Französisch wird der Genetiv von dem Partikel „de“ angezeigt. Ich glaube mich zu erinnern, dass die Grammatik verschiedene Bedeutungen des Genetivs unterscheidet. Es gibt da eine regelrechte Variation. Wenn ihr die Wendung „de“ verwendet um einen Genetiv anzuzeigen, dann meint das stets, dass etwas zu jemandem gehört. Wenn ich aus dem Genetiv eine Wendung der Zugehörigkeit mache, dann verhindert dies nicht, dass die Zugehörigkeit sehr verschiedene Bedeutungen besitzt. Der Genitiv kann anzeigen, dass etwas von jemandem kommt und ihm insofern gehört als es von ihm kommt, oder er kann auch anzeigen, dass eine Sache jemandem insofern zugehört, als er sie erleidet. Anders gesagt wählt die Wendung „de“ nicht die Flugrichtung des Pfeils. Sie sagt nicht, ob es sich um einen Genetiv des Leidens oder um einen Genetiv der Aktion handelt.

Meine Frage ist diese: In welchem Sinn kann eine inadäquate Idee, eine verworrene Proposition, die ich habe und der ein Leidens-Affekt entspringt, zu meinem Wesen gehören? Es scheint mir, die Antwort ist folgende: In meiner natürlichen Verfasstheit bin ich zu inadäquaten Wahrnehmungen verurteilt. Das bedeutet, dass ich aus einer Unendlichkeit extensiver Teilchen zusammengefügt bin, die sich einander äußerlich sind. Diese extensiven Teile gehören unter einem gewissen Verhältnis zu mir. Aber diese extensiven Teile sind beständig dem Einfluss anderer Teile unterworfen, die auf sie einwirken und die mir nicht zugehören. Wenn ich an gewisse Teile, die zu mir gehören und die Teil meines Körpers sind, denke…, nehmen wir meine Haut: Hautteilchen, die mir unter derartigen Verhältnissen gehören, also meine Haut. Diese Teilchen sind beständig der Handlung anderer äußerer Teile unterworfen: der Gesamtheit dessen, was auf meine Haut einwirkt, Luftteilchen, Sonnenteilchen. Ich versuche, dies auf der Ebene eines rudimentären Beispiels zu erklären. Die Sonnenteilchen, die Wärmeteilchen wirken auf meine Haut. D.h. die Teilchen meiner Haut befinden sich in einem gewissen Verhältnis, einem Verhältnis zur Sonne. Sie befinden sich in einem gewissen Verhältnis, das für genau meinen Körper charakteristisch ist. Aber diese Teilchen, die kein anderes Gesetz als das Gesetz der äußeren Bestimmung kennen, wirken ständig aufeinander ein. Ich würde sagen, dass die Wahrnehmung, die ich von der Hitze habe, eine verworrene Wahrnehmung ist. Ihr entspringen Affekte, die selbst Leiden sind: „Mir ist heiß!“ Wenn ich versuche die Kategorien Spinozas auf der Ebene des Satzes „mir ist heiß“ zu verteilen, so würde ich sagen: Ein äußerer Körper, die Sonne, wirkt auf meinen Körper ein. D.h., dass die Teile der Sonne auf die Teile meines Körpers einwirken. All dies ist reiner äußerer Determinismus, es handelt sich um Zusammenstöße von Teilchen, um Schocks. Wenn ich die Hitze, die ich empfinde, wahrnehme, nenne ich die Idee der Wirkung der Sonne auf meinen Körper Wahrnehmung. Dies hier ist eine inadäquate Wahrnehmung, denn es handelt sich um die Idee eines Effekts, ich kenne die Ursache nicht. Was daraus folgt, ist ein passiver Affekt: entweder es ist zu heiß und ich bin traurig oder aber ich fühle mich gut: Welch Wohltat die Sonne mir bereitet!

In welchem Sinn handelt es sich hier um eine Affektion des Wesens? Es handelt sich zwangsläufig um eine Affektion des Wesens. Auf den ersten Blick ist es eine Affektion des existierenden Körpers. Aber letztendlich gibt es nur das Wesen. Der existierende Körper ist immer noch eine Figur des Wesens. Der existierende Körper ist das Wesen selbst, insofern ihm unter einem gewissen Verhältnis eine Unendlichkeit extensiver Teile zugehört. Unter einem gewissen Verhältnis! Was bedeutet dies, dieses Verhältnis von Bewegung und Ruhe? Ihr erinnert euch: Ihr habt das Wesen, das ein Vermögensgrad ist. Diesem Wesen nun entspricht ein gewisses Verhältnis von Bewegung und Ruhe. Insofern ich existiere, wird dieses Verhältnis von Bewegung und Ruhe von extensiven Teilen verwirklicht, die mir infolgedessen unter diesem Verhältnis zugehören. Was bedeutet das?

Die zwei Definitionen des Körpers: kinetisch und dynamisch

In der Ethik gibt es ein sehr seltsames Gleiten der Begriffe, so als ob Spinoza hier ein doppeltes Vokabular hätte. Das versteht sich, und wäre es auch nur aufgrund der Physik dieser Epoche. Er geht manchmal von einem kinetischen Vokabular zu einem dynamischen Vokabular über. Er versteht folgende zwei Begriffe äquivalent: das Verhältnis von Bewegung und Ruhe und die Macht affiziert zu werden, bzw. die Fähigkeit affiziert zu werden. Man muss sich fragen, warum er die kinetische Proposition und die dynamische Proposition als äquivalent behandelt. Weshalb ist ein Verhältnis von Bewegung und Ruhe, das mich charakterisiert, gleichzeitig eine Macht affiziert zu werden, die zu mir gehört? Es gibt zwei Definitionen des Körpers. Die kinetische Definition wäre: Jeder Körper definiert sich durch ein Verhältnis von Bewegung und Ruhe. Die dynamische Definition lautet: Jeder Körper definiert sich durch eine gewisse Macht affiziert zu werden.

Man muss dem doppelten – dem kinetischen und dynamischen - Register gegenüber Gespür entwickeln. Wir werden einen Text finden, in dem Spinoza sagt, es gäbe eine sehr große Anzahl von extensiven Teilen, die mir zugehören. Folglich werde ich auf unendliche Weisen affiziert. In einem gewissen Verhältnis eine Unendlichkeit von Teilen zu besitzen, heißt auf unendliche Arten affiziert werden. Infolge dessen klärt sich alles auf und wird leuchtend hell. Wenn ihr das Gesetz der extensiven Teile verstanden habt, dann haben sie unablässig Ursachen, sind unablässig Ursachen und leiden die Wirkungen der anderen. Dies ist die Welt der Kausalität oder des extrinsischen, äußerlichen Determinismus. Es gibt immer ein Teilchen, das ein anderes Teilchen anrempelt. Anders gesagt, ihr könnt ein unendliches Ensemble von Teilen nicht denken, ohne auch zu denken, dass diese in jedem Augenblick eine Wirkung aufeinander haben. Was nennt man Affektion? Affektion nennt man die Idee einer Wirkung. Die extensiven Teile, die mir zugehören, könnt ihr nicht so verstehen, als würden sie nicht aufeinander wirken. Sie sind untrennbar von der Wirkung, die sie aufeinander ausüben. Niemals gibt es ein unendliches Ensemble extensiver Teile, die isoliert wären. Und doch gibt es sehr wohl ein Ensemble extensiver Teile, das dadurch definiert wird, dass es mir gehört. Es wird durch das Verhältnis von Bewegung und Ruhe definiert, in dem es zu mir gehört. Allerdings ist dieses Ensemble nicht von den ebenfalls unendlichen Ensembles trennbar, die auf es einwirken, die auf es Einfluss haben und die nicht zu mir gehören. Die Teilchen meiner Haut sind offensichtlich nicht von den Luftteilchen trennbar, die sie stoßen. Eine Affektion ist nichts anderes als die Idee einer Wirkung, eine notwendig verworrene Idee, denn ich habe keine Idee der Ursache. Sie ist die Rezeption einer Wirkung: Ich sage, dass ich wahrnehme. Deshalb nämlich kann Spinoza von der kinetischen zur dynamischen Definition übergehen, weil das Verhältnis unter dem mir eine Unendlichkeit extensiver Teile zugehört, gleichermaßen auch eine Macht affiziert zu werden ist.

„Es gibt nur das Sein“

Doch was hat es mit meinen Wahrnehmungen und meinen Leiden, mit meinen Freuden und meinen Traurigkeiten, mit meinen Affekten auf sich? Wenn ich den Parallelismus zwischen dem kinetischen Element und dem dynamischen Element fortsetze, so sage ich, dass mir die extensiven Teile zugehören, insofern sie ein gewisses Verhältnis von Bewegung und Ruhe ausführen, das mich charakterisiert. Sie verwirklichen ein Verhältnis, da sie die Terme definieren, zwischen denen sich das Verhältnis abspielt. Wenn ich nun in dynamischen Begriffen spreche, dann sage ich, dass die Affektionen und Affekte mir zugehören, insofern sie meine Macht affiziert zu werden ausfüllen, und meine Macht affiziert zu werden wird in jedem Moment ausgefüllt. Vergleicht nun die folgenden, völlig verschiedenen Momente. Moment A: Ihr steht im Regen, macht euch ganz klein, habt keinen Unterschlupf und seid deshalb darauf reduziert, eure rechte Seite mit der linken zu schützen und umgekehrt. Seid der Schönheit dieses Satzes zugänglich. Wir haben hier eine stark kinetische Formulierung. Ich bin gezwungen aus einer Hälfte meiner selbst den Unterschlupf der anderen Seite zu machen. Dies ist eine sehr schöne Formulierung, ein Vers von Dante aus einem der Höllenkreise, in dem es regnet und die Körper in einer Art Schlamm liegen. Dante versucht, die Einsamkeit dieser Körper zu übersetzen, denen keine andere Möglichkeit zur Verfügung steht als sich im Schlamm hin- und her zu wälzen. Jedes Mal versuchen sie eine Seite ihres Körpers mit der anderen Seite zu schützen. Moment B: Jetzt blüht ihr auf. Eben noch waren die Regenteilchen wie kleine Pfeile, es war grauenvoll, ihr wart einfach grotesk in euren Badehosen. Und nun kommt die Sonne hervor: Moment B. Nun blüht euer ganzer Körper auf. Jetzt hättet ihr gerne, dass sich euer ganzer Körper ausbreiten ließe. Ihr streckt ihn der Sonne entgegen. Spinoza sagt allerdings, man dürfe sich hier nicht täuschen. In beiden Fällen ist eure Macht affiziert zu werden notwendig ausgefüllt. Nur habt ihr immer die Affektionen und Affekte, die ihr in Funktion der Umstände verdient, die äußeren Umstände eingeschlossen. Eine Affektion, ein Affekt gehört euch nur in dem Maße, in dem er dazu beiträgt, eure Macht affiziert zu werden aktuell auszufüllen. In diesem Sinne ist jede Affektion und jeder Affekt Affekt des Wesens.

Letztendlich können die Affektionen und die Affekte nur Affektionen und Affekte des Wesens sein. Weshalb? Sie existieren für euch nur, insofern sie eure Macht affiziert zu werden ausfüllen, und diese Macht affiziert zu werden, ist die Macht eures Wesens affiziert zu werden. Zu keinem Zeitpunkt habt ihr etwas zu bedauern. Wenn es regnet und ihr so unglücklich seid, fehlt euch buchstäblich nichts. Dies ist die große Idee Spinozas: niemals fehlt euch etwas. Eure Macht affiziert zu werden wird auf jegliche Weise ausgefüllt. In keinem Fall drückt sich etwas als Mangel aus oder ist niemals darin begründet, sich als Mangel auszudrücken. Das ist die Formulierung: „Es gibt nur das Sein“. Jede Affektion, jede Wahrnehmung und jedes Gefühl, jedes Leiden ist Affektion, Wahrnehmung und Leiden des Wesens.

Die unterschiedlichen Affektionen des Wesens

Das Wesen kann von Außen affiziert werden
Es ist kein Zufall, dass die Philosophie beständig ein Wort verwendet, das man ihr zum Vorwurf macht, doch was wollt ihr, sie benötigt dieses Wort: die Wendung „insofern als“ [en tant que]. Wenn man die Philosophie mit einem Wort definieren müsste, so würde man sagen, die Philosophie sei die Kunst des „Insofern-als“. Wenn ihr jemanden seht, der durch Zufall dazu gebracht wird, ein „Insofern-als“ zu äußern, könnt ihr euch sagen, dass hier gerade Denken entsteht. Der erste Mensch, der dachte, sagte „insofern als“. Weshalb? „Insofern als“ ist die Kunst des Begriffs. Es ist der Begriff. Ist es Zufall, dass Spinoza unentwegt das lateinische Äquivalent von „insofern als“ gebraucht? Das „Insofern-als“ verweist auf Distinktionen im Begriff, die in den Dingen selbst nicht wahrnehmbar sind. Wenn ihr über Distinktionen im Begriff oder durch den Begriff vorgeht, so könnt ihr sagen: das Ding, insofern als…, d.h. es handelt sich um den begrifflichen Aspekt des Dings.

Jede Affektion ist also Affektion des Wesens, ja, aber inwiefern ist sie dies? Wenn es sich um inadäquate Wahrnehmungen und Passionen oder Leiden handelt, muss man hinzufügen, dass es sich insofern um Affektionen des Wesens handelt, als das Wesen eine Unendlichkeit extensiver Teile besitzt, die ihm unter einem bestimmten Verhältnis zugehören. Hierbei gehört die Macht affiziert zu werden zum Wesen, nur wird sie notwendig von Affekten ausgefüllt, die von außen kommen. Diese Affekte kommen von außen, sie stammen nicht aus dem Wesen und sind dennoch Affekte des Wesens, da sie ja die Macht des Wesens affiziert zu werden ausfüllen. Merkt euch gut, dass sie von außen kommen, und tatsächlich ist das Außen das Gesetz, dem die extensiven aufeinander wirkenden Teile unterworfen sind.

Das Wesen kann affiziert werden, insofern es sich in einem Verhältnis ausdrückt
Was geschieht, wenn man es schafft, zur zweiten und dritten Erkenntnisgattung aufzusteigen? Dort habe ich adäquate Wahrnehmungen und aktive Affekte. Was bedeutet das? Es handelt sich um Affektionen des Wesens. Ich würde sogar sagen, mit jetzt noch stärkerem Grund. Welche Differenz besteht zu den vorherigen Fällen? Dieses Mal kommen die Affektionen nicht von außen, sie kommen von innen. Weshalb? Wir haben dies schon gesehen. Weshalb kommen bereits ein Gemeinbegriff und begründeter noch eine Idee der dritten Gattung, eine Idee des Wesens, von innen? Gerade eben sagte ich, dass die inadäquaten Ideen und die passiven Affekte zu mir gehören, dass sie meinem Wesen zugehören. Sie sind also Affektionen des Wesens, insofern dieses Wesen aktuell eine Unendlichkeit an extensiven Teilen besitzt, die ihm unter einem gewissen Verhältnis zugehören. Sehen wir nun, wie es sich mit den Gemeinbegriffen verhält. Ein Gemeinbegriff ist eine Wahrnehmung, eine Wahrnehmung eines gemeinsamen Verhältnisses, eines mir und einem anderen Körper gemeinsamen Verhältnisses. Hieraus entspringen Affekte, aktive Affekte. Diese Affektionen, Wahrnehmungen und Affekte sind auch Affektionen des Wesens. Sie gehören zum Wesen. Es geht um dieselbe Sache, doch inwiefern? Nicht mehr, insofern das Wesen so aufgefasst wird, dass es eine Unendlichkeit extensiver Teile besitzt, die ihm unter einem gewissen Verhältnis zukommen, sondern insofern das Wesen als etwas begriffen wird, das sich in einem Verhältnis ausdrückt. Hier sind die extensiven Teile und die Handlung der extensiven Teile besänftigt, da ich mich ja zum Verständnis der Verhältnisse, die Ursachen sind, erhoben habe. Ich habe mich folglich zu einem anderen Aspekt des Wesens erhoben. Dies ist nicht das Wesen, insofern es aktuell eine Unendlichkeit extensiver Teile besitzt, sondern ist das Wesen, insofern es sich in einem Verhältnis ausdrückt.

Das Wesen kann sich selbst affizieren
Wenn ich mich zu den Ideen der dritten Gattung erhebe, gehören diese Ideen und die aktiven Affekte, die ihnen entspringen, im stärksten Sinne zum Wesen und sind Affektionen des Wesens. Dieses Mal allerdings, insofern das Wesen in sich ist, in sich selbst ist, in sich selbst und für sich selbst ist. Es ist in sich und für sich ein Vermögenssgrad. Im Großen und Ganzen würde ich sagen, dass jede Affektion und jeder Affekt Affektionen des Wesens sind – nur, es gibt zwei Fälle, der Genetiv hat zwei Bedeutungen… Die Ideen der zweiten und der dritten Gattung sind Affektionen des Wesens, allerdings, wie man sagen müsste, Affektionen gemäß eines Wortes, das erst einiges später in der Philosophie auftauchen wird, z.B. mit den Deutschen: Es sind Auto- oder Selbstaffektionen. Schließlich affiziert sich das Wesen durch Gemeinbegriffe und Ideen der dritten Gattung selbst. Spinoza verwendet den Begriff „aktiver Affekt“ und zwischen „Auto-Afektion“ und „aktivem Affekt“ gibt es keine große Differenz. Alle Affektionen sind Affektionen des Wesens, aber Vorsicht, die Affektion des Wesens besitzt keinen alleinigen und selbigen Sinn.

Es bleibt mir, eine Art Schlussfolgerung hinsichtlich dessen zu ziehen, was das ethisch-ontologische Verhältnis anbelangt. Warum bildet all das eine Ontologie? Ich habe ein Idee-Gefühl [une idée-sentiment]. Es gab immer nur eine Ontologie: nur Spinoza brachte eine Ontologie zur Vollendung. Wenn man Ontologie in einem extrem strengen Sinn fasst, sehe ich nur einen Fall, in dem eine Philosophie sich als Ontologie verwirklicht hat, und dieser Fall ist Spinoza. Warum also konnte dieser Streich nur ein Mal verwirklicht werden? Weshalb geschah dies durch Spinoza? Die Macht eines Wesens affiziert zu werden, kann ebenso durch äußere Affektionen wie durch innere Affektionen realisiert werden. Man darf vor Allem nicht denken, die Macht affiziert zu werden verweise in stärkerem Maße auf eine Innerlichkeit als dies das kinetische Verhältnis tat. Die Affekte können absolut äußerlich sein: dies ist der Fall der Leiden. Die Leiden sind Affekte, die die Macht affiziert zu werden ausfüllen und die von außen kommen… Das Fünfte Buch der Ethik scheint mir den Begriff der Auto-Affektion zu gründen. Nehmt einen Text wie diesen hier: „Die Liebe, durch die ich Gott liebe (es versteht sich: in der dritten Gattung) ist die Liebe, durch die Gott sich selbst und mich liebt.“ D.h., dass auf der Ebene der dritten Gattung alle Wesen einander innerlich sind. Alle Vermögensgrade sind einander und auch dem Vermögen, das göttliches Vermögen genannt wird, innerlich. Es gibt eine Innerlichkeit der Wesenheiten, die aber nicht bedeutet, dass sie durcheinander geraten. Man kommt zu einem System intrinsischer Distinktionen, sobald mich eine Wesenheit affiziert – und dies ist die Definition der dritten Gattung, eine Wesenheit affiziert mein Wesen. Doch weil alle Wesen einander innerlich sind, ist eine Wesenheit, die mich affiziert, eine Art, in der sich mein Wesen selbst affiziert.

Das Sonnenbeispiel

Obwohl es gefährlich sein mag, komme ich auf mein Beispiel der Sonne zurück. Was heißt „Pantheismus“? Wie leben die Menschen, die sich Pantheisten nennen? Viele Engländer - ich denke an Lawrence - sind Pantheisten. Er betreibt einen Kult der Sonne. Licht und Tuberkulose sind zwei Lawrence und Spinoza gemeine Punkte.

Lawrence sagt uns, es gebe im Großen und Ganzen drei Arten mit der Sonne in Beziehung zu stehen.

Gemäß der ersten Erkenntnisgattung
Am Strand liegen ein paar unverständige Leute. Sie wissen nicht, was die Sonne ist und leben schlecht. Denn würden sie etwas von der Sonne verstehen, so würden sie intelligenter und besser aus der Situation herauskommen. Aber sobald sie sich wieder angezogen haben, sind sie so verbissen wie zuvor. Was machen sie auf diesem Niveau mit der Sonne? Sie bleiben in der ersten Gattung… […] Das „Ich“ des „Ich liebe die Hitze“ ist ein „Ich“, das Verhältnisse extensiver Teile vom Typ Gefäßverengung und Gefäßerweiterung ausdrückt, die sich direkt in einem externen Determinismus ausdrücken, der die extensiven Teile ins Spiel bringt. In diesem Sinn sind es die Sonnenteilchen die auf meine Teilchen einwirken, und die Wirkung der einen auf die anderen ist ein Vergnügen oder eine Freude. Dies ist die Sonne der ersten Erkenntnisgattung, die ich in der naiven Formulierung zusammenfasse: „Oh, die Sonne! Das liebe ich!“ In der Tat sind es äußere Mechanismen meines Körpers, die hier wirken, und Verhältnisse zwischen Teilen, zwischen Teilen der Sonne und Teilen meines Körpers.

Gemäß der zweiten Erkenntnisgattung
Ab wann kann ich in Bezug zur Sonne beginnen, auf authentische Weise „ich“ zu sagen? Mit der zweiten Erkenntnisgattung überschreite ich das Gebiet der Wirkung der Teile aufeinander. Ich habe eine Art Verständnis der Sonne, ein praktisches Verständnis der Sonne erlangt. Was bedeutet dieses praktische Verständnis? Es bedeutet, dass ich ein Stück voraus bin, dass ich weiß, was dieses winzige mit der Sonne verbundene Ereignis bedeutet, dieser flüchtige Schatten zu jenem Zeitpunkt: Ich weiß, was dieses Ereignis ankündigt. Ich registriere nicht mehr die Wirkungen der Sonne auf meinem Körper. Ich erhebe mich im Moment, da ich es verstehe die Verhältnisse meines Körpers mit diesem oder jenem Verhältnis der Sonne zusammenzufügen, zu einer Art praktischen Verständnis der Ursachen. Nehmen wir die Wahrnehmung des Malers. Stellen wir uns einen Maler des 19. Jahrhunderts vor, der in die Natur hinausgeht. Er hat seine Staffelei, das ist ein gewisses Verhältnis. Es gibt die Sonne, die nicht unbeweglich bleibt. Was ist die Erkenntnis zweiter Gattung? Der Maler wird die Position seiner Staffelei völlig verändern, er wird zu seiner Leinwand nicht dasselbe Verhältnis haben, je nachdem, ob die Sonne hoch steht oder ob sie sich zum Schlafen neigt. Van Gogh malte auf den Knien. Die Sonnenuntergänge zwangen Van Gogh fast im Liegen zu malen, damit sein Auge einen möglichst weiten Horizont haben konnte. In diesem Moment bedeutet es nichts mehr, eine Staffelei zu haben. Es gibt Briefe von Cézanne, in denen er vom Mistral spricht: wie das Verhältnis Leinwand-Staffelei mit dem Verhältnis des Windes zusammenfügen, und wie das Verhältnis der Leinwand mit der untergehenden Sonne zusammenfügen und wie dahin kommen, dass ich am Ende auf dem Boden, mit dem Bauch auf der Erde male? Ich komponiere Verhältnisse und auf gewisse Weise erhebe ich mich zu einem gewissen Verständnis der Gründe. In diesem Moment kann ich anfangen auf authentische Weise zu sagen, dass ich die Sonne liebe. Ich bin nicht mehr bei der Wirkung der Sonnenteilchen auf meinen Körper, ich bin in einem anderen Bereich, bei Kompositionen von Verhältnissen. Und in diesem Moment bin ich nicht mehr weit entfernt von dem Satz, der uns in der ersten Gattung so verrückt erschienen wäre, ich bin nicht mehr weit entfernt davon sagen zu können: „Die Sonne, ich bin Teil von ihr“. Ich habe ein affinitives Verhältnis zur Sonne. Das ist die zweite Erkenntnisgattung. Versteht, dass es in der zweiten Gattung eine Art Kommunion mit der Sonne gibt. Für Van Gogh ist dies offensichtlich. Er beginnt in eine Art Kommunikation mit der Sonne zu treten.

Gemäß der dritten Erkenntnisgattung
Was wäre nun die dritte Gattung? Hier nun schäumt Lawrence über. In abstrakten Begriffen gesagt, handelt es sich um mystische Vereinigung. Alle möglichen Religionen haben Mystiken der Sonne entwickelt. Dies geht einen Schritt weiter. Van Gogh hat den Eindruck, es gebe ein Jenseits, das er nicht wiederzugeben vermag. Was ist dieses Mehr-Noch, das er als Maler nicht wiederzugeben vermag? Worum drehen sich die Sonnenmetaphern der Maler? Aber eigentlich sind es keine Metaphern, wenn man sie einfach versteht: Die Maler können wortwörtlich sagen, dass Gott Sonne ist. Sie können wörtlich sagen, dass „ich Gott bin“. Warum? Nicht, weil es Identifikation gäbe. Auf der Ebene der dritten Gattung, erreicht man einen intrinsischen Distinktionsmodus. Hier liegt etwas irreduzibel Mystisches in der dritten Erkenntnisgattung Spinozas: Die Wesenheiten sind unterschieden, und gleichzeitig unterscheiden sich die einen von den anderen lediglich im Inneren. So dass, wenn mich die Sonne affiziert, ich mich eben durch die Strahlen selbst affiziere, und die Strahlen, durch die ich mich selbst affiziere, die Strahlen der Sonne sind, die mich affizieren. Dies ist solare Auto-Affektion. In Worte gefasst, hat dies ein groteskes Aussehen, aber versteht, dass das auf der Ebene der Lebensweisen ganz anders aussieht. Lawrence entwickelt diese Texte über diese Art der Identität, die eine interne Unterscheidung aufrecht erhält, eine interne Unterscheidung zwischen seinem singulären Wesen, dem singulären Wesen der Sonne und dem Wesen der Welt.